Kapitel 7. Nina Van Gorkom. Abhidhamma im Alltag


Unwissenheit - Illusion - Moha


Sicherlich erkennen wir akusala citta, die in lobha (Zuneigung) oder akusala citta, die in dosa (Abneigung) ihre Wurzel haben. Erkennen
wir aber auch akusala citta, die in moha (Unwissenheit) verwurzelt sind? Was sind die Merkmale der Unwissenheit? Wir können annehmen, jemand, der keine gründliche Schulbildung gehabt hat, sei unwissend. Ebenso jemand, der keine fremden Sprachen spricht, jemand, der nicht viel von Geschichte und Politik versteht. Wir nennen jemand unwissend, der nicht weiß, was in der Welt vor sich geht. Ist dies die Unwissenheit, welche ausgemerzt werden soll?

Wäre es so, würde es bedeuten, daß es mehr Heilsames (kusala, das, was heilt, gesund macht) im Leben derer gibt, die fremde Sprachen sprechen oder über Geschichte und Politik Bescheid wissen.

Um die Kennzeichen der Unwissenheit zu verstehen, sollten wir wissen, wessen wir unwissend sind, wenn moha vorhanden ist. Es gibt die Welt der konventionellen Terminologie und die Welt der paramattha dhamma (absolute Wirklichkeit). Normalerweise denkenwir von der Welt in Begriffen wie: 'Mensch, Tier, Gegenstand', und wir benennen sie mit verschiedenen Namen. Wissen wir auch, was diese Dinge wirklich sind: nur nāma und rūpa, die vergänglich sind.

Die Welt der paramattha dhamma ist wirklich. Paramattha dhamma sind nāma und rūpa. Nāma und rūpa, die in unserem täglichen Leben erscheinen, können von uns unmittelbar durch die fünf Sinnentore und durch das Geisttor erfahren werden. Es hat nichts zu sagen,
wie wir sie benennen. Dies ist die Welt, die wirklich ist. Wenn wir sehen, existiert die Welt der Farben. Wenn wir hören, existiert die
Welt der Töne. Wenn wir denken, existiert die Welt der Gedanken.

Farbe und Sehen sind wirklich, ihre Eigenschaften können erfahren werden. Es ist von keinerlei Bedeutung, ob wir 'Farben' und' Sehen' benennen, oder ob wir sie überhaupt nicht benennen. Solange wir den konventionellen Begriffen wie 'Baum' oder 'Stuhl' anhaften, erfahren wir nicht das Charakteristische der Wirklichkeit. Wenn wir einen Baum sehen, ist es Farbe, welche tatsächlich gesehen wird. Farbe ist ein paramattha dhamma, eine Art von rūpa, die durch das Auge erfahren werden kann. Farbe ist wirklich. Wenn wir einen Baum berühren, können wir Härte fühlen. Es ist eine Art von rūpa, welche durch den Körpersinn erfahren werden kann. Härte ist wirklich. Paramattha dhamma wie Farbe und Härte können erfahren werden. Es ist unbedeutend, wie man sie benennt.

Die Welt, die durch die sechs Tore erfahren werden kann, ist wirklich, aber sie ist nicht dauerhaft, sie ist vergänglich (anicca). Wenn wir sehen, existiert die Welt der Farbe, aber sie verschwindet sofort wieder. Wenn wir hören, existiert die Welt des Tons, aber auch sie ist nicht dauerhaft. Das gleiche gilt für die Welt des Geruchs, die Welt des Geschmacks, die Welt der Körpereindrücke und die Welt der Gedanken. Wie auch immer: wir scheinen nur die Welt der konventionellen Begriffe zu kennen, weil Unwissenheit und falsche Ansichten (moha und ditthi) akkumuliert worden sind. Wir können noch nicht erfahren, daß nāma und rūpa entstehen und sofort wieder vergehen.

Unwissenheit über die Welt der paramattha dhamma ist die Unwissenheit (moha), welche ausgemerzt werden soll, denn sie bringt Leiden.

Die Welt im Sinne der paramattha dhamma wird in der Lehre des Buddha 'Die Welt der vorzüglichen Disziplin' genannt. Der Edle hat die Weisheit entfaltet, die die Dinge sieht, wie sie wirklich sind. Er kennt in der Tat 'die Welt'. Wir lesen in der Samyutta Nikāya (Sahāyātana-vagga, Kindred Sayings on Sense, Second Fifty, Ch. IV, par. 84, Transitory), daß Ānanda zum Buddha sagte:

„Die Welt! Die Welt! So sagt man, Herr. Was soll das bedeuten, Herr?" „Was von Natur aus vergänglich ist, Ānanda, wird die Welt der vorzüglichen Disziplin genannt. Und was, Ānanda, ist von Natur aus vergänglich? Das Auge, Ānanda, ist von Natur aus vergänglich ... Objekte ... Zunge ... Geist (mano) ist von Natur aus vergänglich. Geistobjekte (dhamma), Geistbewußtsein (mano viñnāna), Geisteindruck mano sam phassa), was immer man auch für einen Geisteszustand infolge eines Geisteseindrucks erfährt, sei er angenehm, unangenehm oder weder angenehm noch unangenehm,... alles ist von Natur aus vergänglich. Was somit vergänglich ist, Ānanda, wird die Welt der vorzüglichen Disziplin genannt."


Vielleicht nehmen wir an, wir würden uns selbst gut genug kennen, brauchten nicht die Welt kennen zulernen, wie sie durch die sechs Pforten erscheint. Jemand kann sagen, er wisse um seinen Ärger und um seine Neigungen. In Wirklichkeit jedoch hat er noch nicht erlebt, was sie sind: nur verschiedene Arten von nāma und nicht Selbst.

Solange er Wirklichkeiten für ein 'Selbst' hält, kennt er sich selbst nicht und vermag Unreinheiten nicht auszumerzen. Er hält an einer Idee fest, an dem Begriff ‚Selbst“, der für Wirklichkeiten steht, deren Eigenschaften er aber noch nicht erfahren hat. Er weiß nicht, wie oft lobha, dosa und moha entstehen, und er kennt nicht die feineren Unterschiedsgrade von akusala. Erst wenn man Einsicht in die wahre Natur der Wirklichkeit (vipassanā) erlangt hat, erkennt man, wie wenig man sich selbst kennt.

Solange moha besteht, leben wir in Dunkelheit. Barmherzigkeit, gütige Liebe und Mitleid haben Buddha dazu bewegt, die Menschen dhamma zu lehren. Dhamma ist das Licht, welches die Dunkelheit vertreibt. Solange wir nicht dhamma kennen, bleiben wir in Unwissenheit über die Welt, über uns selbst, über gute und böse Taten und ihre Wirkungen. Wir bleiben unwissend über die Vermeidung der Befleckungen.

Das Studium des Abhidhamma wird uns helfen, mehr über die Eigenschaften von moha zu erfahren. Der 'Atthasālini' (II. Part IX, Chapter I, 249) gibt folgendes über moha an:

'Verblendung (moha) hat die Eigenschaft, blind zu machen, und ist das Gegenteil von rechtem Wissen, von Weisheit. Das Wesen der Verblendung zeigt sich im Nicht-Ergründen des Wesentlichen. Verblendung hat die Funktion, die wahre Natur des Objekts zu verdecken. Sie offenbart sich dadurch, daß sie das rechte Verhalten bekämpft. Sie ist der unmittelbare Grund für jede unkluge Aufmerksamkeit und sollte als die Wurzel alles Bösen, aller Unsittlichkeit angesehen werden....'


Wir unterscheiden viele Grade von moha. Das Studium des dhamma wird unsere Unwissenheit über Wirklichkeiten verringern. Wir werden die paramattha dhamma besser verstehen, ebenso kamma und vipāka. Das bedeutet jedoch noch nicht, daß wir moha ausmerzen können. Moha kann nicht durch das Nachdenken über Wirklichkeiten getilgt werden, sondern nur durch die Entfaltung der Weisheit, die die 'Welt der vorzüglichen Disziplin' erkennt: Sehsinn, Farbe, Sehbewußtsein, Gehörsinn, Ton, Hörbewußtsein, eben alle Wirklichkeiten, die durch die sechs Pforten erscheinen.

Beim Studium des Abhidhamma stellen wir fest, daß moha mit jedem akusala-citta entsteht. Lobha-mūla-citta haben moha und lobha zur Triebfeder. Es gibt zwei Typen von akusala-citta, die moha als einzige Wurzel haben. Sie heißen moha-mūla-citta. Ein Typ der beiden moha-mūla-citta entsteht mit Zweifel (inPali: vicikicchā), der andere Typ mit Unruhe, Aufgeregtheit, Zerstreutheit (in Pali: uddhacca). Das Empfinden, welches moha-mūla-citta begleitet, ist immer indifferent (upekha). Mit einem moha-mūla-citta entsteht kein Mögen oder Nicht-mögen. Man hat weder ein leidiges noch ein freudiges Gefühl. Beide dieser moha-mūla-citta sind asankhārika (unveranlaßt).

Die Kennzeichen von moha sollten nicht mit den Eigenschaften von dhitthi (falscher Ansicht) verwechselt werden. Ditthi entsteht nur mit lobha-mūla-citta. Wenn ditthi entsteht, hält man das für beständig, was vergänglich ist. Oder man hält an der Idee einer 'Ichheit' oder 'Persönlichkeit' fest. In dem Augenblick, in dem ein moha-mūla-citta entsteht, hält man nicht an einer falschen Ansicht fest. Man ist jedoch unwissend über Wirklichkeiten. Moha bedingt ditthi. Die charakteristischen Kennzeichen von moha unterscheiden sich jedoch von denen der ditthi.

Die zwei moha-mūla-Typen sind:

  1. Upekhā-sahagatam, vicikicchā-sampayuttam (mit indifferenter Empfindung entstehend, von Zweifel begleitet)
  2. Upekkhā-sahagatam, uddhacca-sampayuttam(mit indifferenter Empfindung entstehend, von Unruhe begleitet)


Ein Beispiel für ein moha-mūla-citta, begleitet vonZweifel, ist, wenn man den Buddha, den Dhamma (seine Lehre) und den Sangha (die
Mönchsgemeinde) bezweifelt. Man hat Zweifel darüber, ob der Buddha wirklich die Wahrheit entdeckt hat. Ober den Weg, der zur Befreiung von allen Befleckungen führt, gelehrt hat. Ob es wohl auch andere Menschen gibt, welche Erleuchtungerlangen können. Man hat Zweifel über vergangene und zukünftige Leben, über kamma (Ursache) und vipāka (Wirkung). Man erlebt die Ungewißheit, ob Wirklichkeiten nāma oder rūpasind.

Wir unterscheiden viele Stärkegrade von Zweifel. Zu Beginn der Entfaltung der 'Einsicht' mögen wir die Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks bezweifeln. Wenn zum Beispiel Hören entsteht, ist auch Klang vorhanden. Wir können uns jedoch nur einer Wirklichkeit in einem Augenblick bewußt werden, da ein citta nur ein Objekt in einer Zeitspanne erfahren kann. Vielleicht haben wir Zweifel darüber, ob die Wirklichkeit, die wir im gegenwärtigen Augenblick erfahren, nāma ist, welches hört, oder rūpa, welches Klang ist. Nāma und rūpa entstehen und vergehen so schnell, daß die Wirklichkeit, die in einem Augenblick erscheint, schwer zu erkennen ist. Zweifel über die Welt der paramattha dhamma wird solange bestehen, bis paññā (Weisheit) tatsächlich die Eigenschaften der nāma und rūpa erfährt, die durch die sechs Pforten erscheinen.

Der 'Atthasālinī' (II, Part IX, Chapter III, 259) berichtet über Zweifel:

'Zweifel bedeutet hier soviel wie von einer Heilung durch Erfahrung ausgeschlossen bleiben. Oder man erleidet durch die Anwesenheit von Zweifel bei der Erforschung der wahren Natur der Dinge Schmerzen und Müdigkeit. Die charakteristische Eigenschaft des Zweifels zeigt sich im geistigen Umherspringen, das Wesen des Zweifels ist geistiges Schwanken. Er offenbart sich als Unentschlossenheit und Unsicherheit in der Fassungskraft. Unmittelbare Ursache für den Zweifel sind unsystematische Gedanken. Zweifelsucht sollte als eine Hemmung für jeden Fortschritt angesehen werden.'


Zweifel ist verschieden von falscher Ansicht. Ditthi (Irrtum, falsche Ansicht) zeigt sich darin, daß man an der Idee, Wirklichkeiten seien
dauerhaft oder ein 'Ich' sei darin zu finden, festhält. Wenn jedoch vicikicchā (Zweifel) entsteht, ist man verwundert und fragt sich, ob der Geist verschieden vom Körper ist, ob es ein 'Selbst' gibt oder nicht. Es gibt keinen anderen Weg zur Ausmerzung von Zweifel als die Entfaltung von paññā (Weisheit), welche die Wirklichkeiten sieht, wie sie tatsächlich sind. Menschen, die die Person des Buddha oder seine Lehre bezweifeln, nehmen mitunter an, ihr Zweifel könne durch das Studium historischer Ereignisse geheilt werden. Sie forschen nach mehr Einzelheiten über Ort und Zeit, in denen der Buddha lebte. Sie wollen die genaue Zeit wissen, zu der die Texte geschrieben wurden. All dies jedoch führt nicht zum Ziel der Lehre des Buddha: zur Tilgung der Befleckungen und Unvollkommenheiten.

Auch zu des Buddha Lebzeiten spekulierten die Menschen über Dinge, die nicht zum Ziel der Lehre führten. Sie fragten sich, ob die Welt endlich oder unendlich sei, ob sie ewig oder nicht ewig sei, ob der Tathāgata (der Buddha) nach seinem parinibbāna (dasvöllige Nirwahn) weiterexistiere oder nicht. Wir lesen in der 'Cūla- Mālunkyā-Sutta' (Lesser Discourse to Mālunkyā, Majj. Nikāya, Bikkhu-vagga), daß Mālunkyāputta verärgert war, weil der Buddha keine Spekulationen erläuterte. Es war seine Absicht, den Buddha über spekulative Ansichten zu befragen. Falls er sie jedoch nicht erklären könnte, wollte er den Orden verlassen. Er trat an den Buddha heran und dieser sprach zu ihm:

„Wie habe ich doch früher zu dir gesagt, Mālunkyāputta? Habe ich gesagt: 'Komm und sei mein Jünger. Ich will dich lehren, ob die Welt ewig oder nicht ewig ist, ob die Welt begrenzt oder unbegrenzt ist, ob das Lebewesen mit dem Körper identisch oder von ihm verschieden ist, ob der Vollendete nach dem Tode fortlebt oder nicht fortlebt, oder ob der Vollendete nach dem Tode zugleich fortlebt oder nicht fortlebt, oder ob er weder fortlebt noch nicht fortlebt?'" Mālunkyāputta antwortete: „Das hast du nicht gesagt, Herr."


Und weiter sprach der Buddha: „Oder hast du zu mir gesagt: 'Ich will dein Jünger sein. Offenbare du mir, ob die Welt ewig ist oder nicht ewig ist.' Ich aber sagte zu dir: 'Dies ist das Leiden, dies ist die Entstehung des Leidens, dies ist die Aufhebung des Leidens, dies ist der zur Aufhebung des Leidens führende Pfad.'" Und auf die Antwort des Mönches, nur solches vom Erhabenen gehört zu haben, fuhr der Buddha fort:

„Es ist, Mālunkyāputta, wie wenn ein Mann von einem Pfeil getroffen wäre, einem vergifteten, stark mit Gift bestrichen, und seine Freunde und Genossen, seine Angehörigen und Blutsverwandten einen Arzt riefen. Wenn jener nun sagte: „Ich werde mir den Pfeil solange nicht herausziehen lassen, als ich den Mann nicht kenne, der mich getroffen hat, welches sein Name und sein Geschlecht ist ... ob er lang oder kurz oder mittelgroß ist... ob er schwarz oder braun ist oder helle Hautfarbe hat... als ich den Bogen nicht kenne, mit dem ich getroffen worden bin ... als ich die Sehne nicht kenne, mit der ich getroffen , worden bin. Ein solcher Mann muß sterben, bevor er all dies weiß."


So ergeht es auch einem Menschen, der nur dann als Brahmane unter dem Herrn leben möchte, falls spekulative Ansichten erklärt werden. Wir lesen, daß der Buddha sagte:

„Das Brahmanen-Leben, Mālunkyāputta, sollte nicht von der Ansicht abhängen, die Welt sei ewig. Noch sollte es von der Ansicht abhängig sein, die Welt sei nicht ewig. Gleichwohl, ob nun die Ansicht besteht, die Welt sei ewig, oder die andere Ansicht besteht, die Welt sei nicht ewig, auf jeden Fall gibt es Geburt, Altern, Sterben, es gibt Kummer, Sorgen, Leiden, Wehklage und Verzweiflung, deren Vernichtung ich hiermit niederlege....
Weshalb, Mālunkyāputta, verstehe als nicht erklärt, was von mir nicht erklärt wurde, und verstehe als erklärt, was von mir erklärt wurde. Und was, Mālunkyāputta, ist von mir nicht erklärt worden? Daß die Welt ewig sei... daß die Welt nicht ewig sei, ist von mir nicht erklärt worden.
... Und warum, Mālunkyāputta, ist es von mir nicht erklärt worden? Weil es nicht in Verbindung zum Ziel steht, weil es nicht von Wichtigkeit für ein Brahmanen-Leben ist, und weil es nicht zum Abwenden, zur Leidenschaftslosigkeit, zum Ende, zur Ruhe, zu überweltlichem Wissen, zur Erleuchtung, zum Nibbana führt. Darum ist es von mir nicht erklärt worden, Mālunkyāputta.

Und was ist von mir erklärt worden, Mālunkyāputta? 'Dies ist Dukkha' 1 ist von mir verkündet worden, Mālunkyāputta! 'Dies ist die Entstehung von Dukkha' ist von mir verkündet worden. 'Dies ist die Erlöschung von Dukkha' ist von mir verkündet worden. 'Dies ist der Weg, der zur Leidenserlöschung führt', ist von mir verkündet worden.
Und warum, Mālunkyāputta, ist dies von mir verkündet worden? Weil es zum Ziele führt, weil es wichtig für den Wandel als Brahmane ist, und weil es zum Abwenden, zur Leidenschaftslosigkeit, zum Ende, zur Ruhe, zu überweltlichem Wissen, zur Erleuchtung und zum Nibbāna führt...."


Spekulationen über Dinge, die nicht zum Ziele führen, vermögen nicht, Zweifel zu heilen. Nur dadurch, daß wir uns der nāma und rūpa bewußt werden, die in diesem Augenblick entstehen, können wir Zweifel heilen. Wenn jedoch Zweifel entsteht, können wir uns seiner bewußt werden als eine Art von nāma, die auf Grund von Bedingungen entsteht und nicht ein 'Selbst' ist. Dadurch wird die Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks für uns durchschaubarer.

Der zweite moha-mūla-citta Typ wird von einer indifferenten Empfindung begleitet, die zusammen mit Aufgeregtheit, Zerstreutheit (upekkhā-sahagatam, uddhacca-sampayuttam) entsteht. Uddhacca wird mit 'Aufgeregtheit' oder 'Unruhe' übersetzt. Uddhacca entsteht mit allen akusala citta.

Wo uddhacca entstanden ist, kann kein sati (Achtsamkeit) in einem citta auftreten Sati entsteht in jedem heilsamen citta, es erinnert sich dessen, was heilsam ist. Somit tritt sati nicht nur in vipassanā (im Hellblick) auf, sondern auch, wenn man dāna (Großmütigkeit, Geben) praktiziert sīla (Sittlichkeit) übt, sich dem Studium und der Lehre des Buddha widmet oder samatha (geistige Sammlung, eingeschlossen in der geistigen Entfaltung, bhāvana) pflegt.

Sati in vipassanā ist sich der Eigenschaft eines der nāma und rūpa bewußt, die entstehen. Wenn aber uddhacca in einem citta entsteht, kann diese nicht heilsam sein. In solch einem Augenblick kann man nicht dāna, sīla oder bhāvana praktizieren. Uddhacca verhindert, daß das citta kusala ist. Diese Art von moha-mūla-citta, von uddhacca begleitet, entsteht viele Male am Tage. Es ist jedoch schwer, ihre Eigenschaft zu erfassen. Wenn man nicht vipassanā kultiviert hat, erkennt man diesen Typ von citta nicht. Wenn man die Wirklichkeit um sich herum vergißt und sich Tagträumen hingibt, braucht dies nicht unbedingt mit diesem citta-Typ geschehen.

Während eines Wachtraumes entstehen neben den von uddhacca begleiteten moha-mūla-citta auch lobha- mūla-citta (solche citta, die in Neigung wurzeln) und dosa-mūla- citta (solche citta, die in Abneigung wurzeln). Im Falle, daß man Wirklichkeiten um sich herum vergißt und die entstandenen akusala citta nicht in lobha oder dosa wurzeln, auch nicht von Zweifel begleitet sind, hat man es mit dem zweiten Typ eines moha-mūla- citta, von uddhacca begleitet, zu tun.

Moha ist die Triebfeder alles Unheilsamen. Wenn wir Wirklichkeiten nicht erkennen, häufen wir zwangsläufig mehr und mehr akusala an. Moha bedingt die Entstehung von lobha. Wenn wir nicht erkennen, wie Wirklichkeiten sind, werden wir von den Dingen, die wir durch unsere Sinne erfahren, ganz in Anspruch genommen.

Moha bedingt auch die Entstehung von dosa. Wir werden Abneigung gegen unerfreuliche Dinge verspüren, falls wir Wirklichkeiten nicht so sehen, wie sie sind. Moha begleitet immer akusala-citta. Und wenn wir akusala-kamma ausführen, entstehen nicht nur lobha-mūla-citta oder dosa-mūla-citta, sondern auch viele moha-mūla-citta.

Moha entsteht auf dem Wege durch die fünf Sinnentore und das Geisttor. Beim Hören eines Klanges ist es z.B. möglich, das moha auf Grund des durch das Ohr Gehörte entsteht. Begleitet uddhacca (Unruhe) das moha-müla-citta, so wird die Wirklichkeit nicht bewußt erfaßt. Wird dieser Typ von citta aber von vicikicchā (Zweifel) begleitet, so besteht beim Erleben der Wirklichkeit Zweifel darüber, was nāma und was rūpa ist. Das bewußte Erleben der Wirklichkeiten, die durch die sechs Tore erscheinen bedeutet, daß die Weisheit entfaltet worden ist, die moha auszumerzen vermag.

Der sotāpanna (der 'In-den-Strom-Eingetretene', der die erste Stufe der Erleuchtung erreicht), hat die von vicikicchā (Zweifel begleiteten moha-mūla-citta getilgt. In ihm bestehen keine Zweifel mehr über paramattha dhamma. Er kennt die Welt der vorzüglichen Disziplin. Er hat keinen Zweifel mehr über den Buddha, den Dhamma und den Sangha. Keine Zweifel mehr über den Edlen Pfad, der zur Ausmerzung der Befleckungen führt. Der sotāpanna, der sakadāgāmī (der 'Einmalwiederkehrende', der die zweite Stufe der Erleuchtung erreicht) und der anāgāmī (der 'Niewiederkehrende', der die dritte Stufe der Erleuchtung erreicht), haben noch moha- mūla-citta, die von uddhacca (Unruhe) begleitet werden. Nur ein arahat hat auch uddhacca ausgemerzt.

Verblendet sein, heißt: nicht das wahre Wesen der Wirklichkeiten erkennen, nicht die 'Vier Edlen Wahrheiten' kennen. Aus Unwissenheit heraus sieht man nicht die erste Edle Wahrheit, die Wahrheit vom Leiden: Man erkennt die nāma und rūpa nicht als vergänglich und somit als schmerzlich und Leiden bringend. Man weiß nicht um die zweite Edle Wahrheit: die Entstehung des Leidens, deren Ursprung das Begehren ist. Solange wir die nāma und rūpa, die entstehen und vergehen, für ein 'Selbst' halten und ihnen anhaften, kann das Ende des Kreislaufs von Geburt und Sterben nicht erfaßt werden, und dadurch auch das Ende des Leidens nicht erreicht werden. Man weiß nicht um die 'Erlöschung des Leidens', das Nibbāna ist. Man weiß nicht um den zur Leidenserlöschung führenden Weg, welches da ist der 'Edle Achtfache Pfad'. Er wird durch vipassanā entfaltet.

Wir lesen in der 'Samyutta Nikäya (Salāyatanavagga, Kindred Sayings about Jambukhādaka, par. 9), daß der Wanderer Jambukhādaka den Sāriputta fragte:

„Verblendung, Verblendung!, so sagt man, Freund Sāriputta. Bitte sage du mir, was Verblendung ist." „Nichtverstehen, was dukkha2 ist, Freund, nicht um die Entstehung von dukkha wissen, nicht das Ende von dukkha begreifen, nicht den Weg kennen, der zum Ende von dukkha führt, - dies Freund, nenne ich 'Verblendung'." „Aber gibt es denn einen Weg, Freund, eine Methode, die zur Befreiung von dukkha fuhrt?" „In der Tat gibt es einen solchen Weg, Freund, der zur Befreiung führt." „Und welches ist der Weg, Freund, der zur Befreiung von dukkha führt?" „Es ist dieser 'Edle Achtfache Pfad', Freund..."


Der vorzügliche 'Achtfache Pfad' führt zur Tilgung von moha.


Fragen
  1. Was ist Unwissenheit? Warum sollte sie ausgemerzt werden?
  2. Wie können wir Unwissenheit vermeiden?
  3. Im Falle, daß Zweifel (vicikiccha) über Wirklichkeiten besteht, ist in dem Augenblick auch moha vorhanden?
  4. Durch wieviele Pforten kann moha entstehen?


Anmerkungen
1. Die englische Übersetzung hat hier das Wort 'anguish' = Pein, Schmerz
2. Die englische Übersetzung gebraucht hier das Wort 'das Übel, das Böse'